Die gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Ursachen des 30jährigen Krieges.

 

Der 30jährige Krieg war kein Religionskrieg wie in der Literatur gern behauptet wird, und er war keine innerdeutsche Angelegenheit. Dieser Krieg begann auch nicht mit dem Prager Fenstersturz im Jahre 1618.

Ein Krieg von solchen Ausmaßen, ein Krieg, der Deutschland in eine Katastrophe führte, beginnt nicht damit, daß aufgebrachte Böhmen kaiserliche Beamte aus einem Fenster der Prager Burg werfen. Der Prager Fenstersturz war in Böhmen vielleicht der Ausdruck einer bewährten Tradition, um politischen Forderungen Nachdruck zu verleihen und im übrigen sogar geltendes böhmisches Recht, aber er war nicht Anlaß oder Ursache des Krieges.

Die Religion diente lediglich der Identifikation der politischen Ziele und sie wurde benutzt, um moralische und damit ideologische Ansprüche geltend zu machen.
Mit zunehmender Dauer des Krieges wurde dieser zunächst moralisch-ideologische Anspruch des Krieges kriminalisiert.

Die tatsächlichen Ursachen dieses Krieges liegen in den unterschiedlichen gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen und religiösen Entwicklungen fast aller europäischer Länder, die im Laufe der Jahrzehnte vor dem Ausbruch des Krieges zu einem unentwirrbaren Knäuel diplomatischer und ökonomischer Abhängigkeiten und religiöser beziehungeweise nationaler Vorurteile verknüpft waren. Diese Unterschiede führten zu konkurrierenden Interessenlagen der einzelnen europäischen Länder, gegen die die innen- und außenpolitisch instabilen Reiche der Habsburger die falsche politische Strategie anwandten.

Es begann damit, daß Kaiser Ferdinand I. noch vor seinem Tode eine für die Gesamtmonarchie verhängnisvolle Entscheidung traf: im Jahre 1564 verfügte er die Aufteilung des Habsburgischen Herrschaftsgebietes unter seine drei Söhne:

Dieser Herrschaftsteilung folgte eine Verwaltungsteilung, die wiederum das spätere Zusammenwachsen der drei Ländergruppen erschwerte. Insgesamt wurde durch diese Aufteilung des Herrschaftsgebietes die gemeinsame Abwehrfront der Habsburger gegen äußere Feinde, insbesondere gegen die Türken wesentlich geschwächt. Eine Schäche gegenüber äußeren Feinden schwächt naturgemäß die innenpolitische Autorität des Kaisers, auch und gerade weil er - wie in dem folgenden Jahrhundert - aus dem Hause Habsburg kam.

Innenpolitisch befand sich die Wiener Linie des Hauses Habsburg im beginnenden 17. Jahrhundert zunehmend im Streit mit den deutschen Fürsten: Der deutsche Kaiser versuchte sein Ziel einer starken Zentralmacht mit einem militanten Katholizismus durchzusetzen.

Die deutschen Fürsten ihrerseits versuchten ihre Libertät, d.h. ihre territorialfürstliche Souveränität, zu behaupten und gegen die Ansprüche des Kaisers zu sichern.

Mit der Reformation wurden diese Widersprüche im Reich polarisiert und sie wurden ideologisiert. Die Lehre Luthers gab den Ständen in ihren Bestrebungen einen religiösen und damit moralischen Anspruch. Dieser scheinbar religiöse Anspruch führte im Verlauf der Machtkämpfe dazu, daß die machtpolitischen Widersprüche zwischen dem Kaiser und den Ständen (also den Fürsten, Reichsrittern und reichsfreien Städten) zu religiösen Widersprüchen hochstilisiert wurden.

Die brisante Mischung aus dem vorgeblichen Kampf um den wahren Glauben und dem Streben der Stände um mehr Macht und Souveränität im Reich, wurde in ihrer Wirkung verstärkt durch die Unterstützung ausländischer Staaten, die ein Interesse an der Schwächung der Habsburger Macht hatten.

Der Kampf um die Macht zwischen Kaiser und Fürsten war so alt wie das Kaisertum selbst. Damit dieser Kampf nicht außer Kontrolle geriet und eventuell die Existenz der gesellschaftlich privilegierten Machteliten gefährdet - und nur um die ging es - , wurden im Laufe der gesellschaftlichen Entwicklung Regeln festgelegt. Eine der ersten verbindlichen Regeln der Machtverteilung wurde bereits 1356 in der Goldenen Bulle festgeschrieben.

Mit der weiteren Verbreitung und machtpolitischen Umsetzung der Lehre Luthers war ein weiterer Konflikt vorprogrammiert, der sich aus der Frage ableitete: wer verwaltet die säkularisierten (d.h. dem Einfluß der katholischen Kirche entzogenen) Kirchengüter auf dem Territorium eines zum Protestantismus übergetretenen Fürsten. Die deutschen protestantischen Fürsten gewöhnten sich sehr schnell daran, daß die bisherigen und nunmehr säkularisierten katholischen Klöster und Stifte durchweg von protestantischen "Administratoren" verwaltet wurden. Diese ursprünglich im kirchlichen Besitz befindlichen ökonomischen Ressourcen mit relativ hoher landwirtschaftlicher und handwerklicher Produktivität verstärkten nach ihrer Säkularisierung die materielle und finanzielle Basis der zunehmenden territorialfürstlichen Macht protestantischer Fürsten erheblich. Viele deutsche Fürstengeschlechter verdankten in der Folge ihre wahre Macht der Okkupation katholischer Kirchengüter und Stifte.

Natürlich verzichtete die katholische Kirche nicht kampflos auf ihre ökonomische Basis und versuchte jede Gelegenheit für eine verstärkte Rekatholisierung ihrer Besitzungen zu nutzen.

Die Einführung und Förderung des Jesuitenordens brachte unübersehbare Fortschritte bei der Restauration des Katholizismus im Kaiserreich; - aber sie verschärfte auch die Widersprüche.

Die katholische Kirche besaß gegenüber dem Protestantismus einen strategischen Vorteil: die Habsburger Kaiser waren aus Gründen der Politik und der Tradition auch stets Interessenvertreter der Kirche. Diese Parteinahme war eine logische Konsequenz ihrer Ziele: ein einheitliches Reich mit nur einer Religion. Besonders der Habsburger Kaiser Ferdinand II. war zu Beginn des 17. Jahrhunderts ein fanatischer Vertreter kirchlicher Interessen, der mit missionarischem Eifer den protestantischen Irrglauben in Deutschland auszurotten versuchte. Tragischerweise waren seine politischen und religiösen Überzeugungen tatsächlich so unentwirrbar miteinander verstrickt, daß sich bis in die heutige Zeit die Meinung erhalten hat, die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen seiner Zeit seien ausschließlich religiös motiviert gewesen.

Kam Ferdinand nicht mit Gewalt ans Ziel, grub er den Protestanten geschickt die staatsbürgerliche Qualifikation ab und verstärkte nach und nach den politischen Druck solange, bis die Protestanten zu spät bemerkten, daß sie zu schwach für politischen Widerstand waren. Dabei kam ihm zupasse, daß sich die Protestanten durch politische Interessen- und religiöse Flügelkämpfe selbst in einem Maße schwächten, der nach heutigen Maßstäben als politische Unreife bezeichnet werden muß.

Die unüberbrückbar erscheinenden religiösen Widersprüche in Deutschland hatten also ihren eigentlichen Grund in der Abwehr der Gegenreformation durch die protestantischen Fürsten, die mit Recht befürchten mußten, daß sie den bereits in Besitz genommenen säkularisierten Kirchenbesitz wieder abgeben sollten. Das hätte gerade bei den norddeutschen Fürsten zum Entzug ihrer sozialen und damit gesellschaftlichen Basis geführt.

In ihrem Widerstand stützten sie sich rechtlich auf zum Teil absichtlich unklar formulierte Teile der Reichsverfassung. Die rechtliche Basis, auf die sich beide Seiten beriefen, waren die Formulierungen des Augsburger Religionsfriedens und deren juristische Interpretation.

Aber der Streit zwischen den Fürsten und dem Kaiser war grundsätzlicher Art, denn auch die katholischen Fürsten befanden sich - zumindestens teilweise und zeitweise - in Opposition zum Kaiser. Auch ihnen ging es dabei um ihre "Libertät", das heißt um ihre territorialfürstliche Unabhängigkeit. Daß sie ihre Opposition nicht so offensichtlich wirksam gestalteten, lag vor allen Dingen daran, daß sie sich aus dem Zusammengehen mit dem Kaiser Vorteile versprachen, zum Beispiel durch Konfiskation protestantischen Besitzes.

Eine ausgleichende dritte Kraft, ein starkes Bürgertum fehlte in Deutschland.

Neben diesen rein national bestimmten Konflikten kamen wirtschaftliche Entwicklungen im europäischen Ausmaß hinzu, die einen mittelalterlich-feudalen Staat, wie ihn die Habsburger unter den gegebenen Bedingungen favorisierten, sinnlos und reaktionär erscheinen ließen.

Die Entdeckung neuer Seewege und Ressourcen hatte die Haupthandelswege nach Westen an den Atlantik verlagert. Dadurch und mit der Überschwemmung des deutschen Marktes mit niederländischen, englischen und französischen Waren kam es zu einem Rückgang der Produktion und des Handels in Deutschland.

Dieser Entwicklung hatte die Zentralgewalt nichts entgegegnzusetzen und in Verbindung mit Münzbetrug, Erhöhung der Zölle und Steuern und dem Zusammenbruch deutscher Handelshäuser kam es zur wirtschaftlichen Katastrophe.

Neben dem wirtschaftlichen Niedergang in Deutschland und Spanien entwickelten sich an den Grenzen der Habsburger Reiche neue gesellschaftliche Formen, die den wirtschaftlichen Entwicklungen in Europa nicht nur besser entsprachen, sondern sie erst möglich gemacht hatten und die Machtansprüche der Habsburger grundsätzlich in Frage stellten:

In den Niederlanden hatte sich eine bürgerliche Ständerepublik etabliert, und in Frankreich entwickelte sich ein relativ progressiver feudaler Absolutismus. Das Beispiel einer modernen Form des Absolutismus in Frankreich zeigte zugleich, daß bei politischem und ökonomischem Gleichgewicht zwischen Adel und Bürgertum die Basis einer stabilen Staatsform geschaffen werden kann. Diesen Entwicklungen stand das Wunschbild einer überholten Universalmonarchie der Habsburger gegenüber.

Nach jahrzehntelangem Unabhängigkeitskampf hatten die Niederlande einen zwölfjährigen Waffenstillstand mit Spanien geschlossen, der 1621 auslief.

Die Beendigung des Waffenstillstandes, soviel war klar, würde nicht nur einen europäischen Krieg, sondern eine gesellschaftliche Krise Europas herbeiführen, die darüber entscheiden würde, ob die Niederlande und damit der Protestantismus oder die Habsburger und die katholische Kirche die Zukunft Europas bestimmen würden.

Es war also nur natürlich, daß sich die Niederländer nach Bündnispartnern umsahen und im Vorfeld der zu erwartenden Kämpfe die Böhmischen Stände zum Widerstand gegen die Habsburger nicht nur ermunterten, sondern sie auch mit monatlich 50.000 Gulden unterstützten.

Die tatsächliche Bedeutung Böhmens im Reich der Habsburger wird selten objektiv gewürdigt: Im gesamteuropäischen Rahmen war Böhmen zwar nur ein kleines Land, aber mit der Krone Böhmens war auch die Herrschaft über die Herzogtümer Schlesien und Lausitz und über die Markgrafschaft Mähren verbunden. Böhmen war durch Handel und Landwirtschaft so reich, daß es mehr als die Hälfte der Verwaltungskosten des ganzen Reiches deckte.

Wenn Adel und Bürgertum eines Landes eine so stark entwickelte materielle Basis besitzen, melden sie in der Regel auch politische Ansprüche an, die in Böhmen in der Zeit des auslaufenden 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts religiös geprägte Formen des Nationalismus annahmen.

Die Gegnerschaft zur römischen Kirche hatte Tradition. Noch in der Zeit, in der die Böhmen der katholischen Kirche anhingen, hielten sie ihren Gottesdienst in ihrer Muttersprache ab. Ihr Schutzpatron war nicht irgendein katholischer Heiliger, sondern ihr eigener König Wenzeslaus. Jan Hus und Hieronimus von Prag wurden zwar in Konstanz als Ketzer verbrannt, aber ihre Lehren lebten weiter. Ziska als militanter Führer der hussitischen Lehre, eroberte das Land zurück. Der erste nicht-katholische König Georg von Podiebrad, machte die hussitische Religion zur Staatsreligion.

Fünfzig Jahre später kamen Luthers Lehren nach Böhmen, und diesen folgte der Calvinismus.

In dieser Zeit des Umbruchs fiel das Königreich Böhmen nach den dynastischen Regeln dieser Zeit an die Habsburger.

Es ist schwer verständlich, warum die Böhmen die katholischen Habsburger duldeten, denn die böhmische Krone war nicht erblich; Böhmen war bis zur Niederlage der sogenannten Böhmischen Aufständischen in der Schlacht am Weißen Berg im Jahre 1620 ein Wahlkönigtum.

Daß die Habsburger ihre Machtansprüche ungehindert durchsetzen konnten, lag in der Zerstrittenheit der Ultraquisten, Lutheraner und Calvinisten begründet, die untereinander um Privilegien kämpften.

So war es möglich, daß die habsburgischen Könige den Katholizismus wieder als Staatsreligion einsetzten und den drei anderen Religionen lediglich religiöse Duldung gewährten.

Die bisherige, auf Landbesitz beruhende Werteordnung Böhmens wurde im Zuge der ökonomischen Entwicklung durch das aufstrebende Bürgertum in Frage gestellt.

Die gesellschaftliche Sonderstellung der Adelsfamilien war im Schwinden begriffen, und so unterstützte der böhmische Adel die habsburgische Regierung aus Furcht vor den militanten Calvinisten.

Diese Spaltung der Böhmen versuchte 1609 Kaiser Rudolf II. auszunutzen und entzog den Protestanten die religiöse Duldung.

Das löste eine Krise im Reich aus und ein drohender nationaler Aufstand zwang den Kaiser in einem sogenannten Majestätsbrief den protestantischen Gottesdienst zu garantieren.

Kaiser Rudolf II. machte Prag zu seiner kaiserlichen Residenz- und Hauptstadt und kam damit den nationalen Gefühlen der Böhmen entgegen. Dem Kaiser, der allerdings mehr mit Astrologie und Astronomie beschäftigt war als mit Staatsgeschäften, unterliefen zunehmend elementare politische Fehler. So kam es, daß er im Jahre 1611 vom lutherischen böhmischen Adel als König von Böhmen abgesetzt wurde.

Tatsächlich sind die Ursachen dieses Krieges in den ungelösten gesellschaftlichen Widersprüchen der Jahre vor und während der Regierungszeit Kaiser Rudolf II. zu suchen, die durch seine Amtsführung und die seiner Nachfolger weiter verschärft wurden. Die militärischen Auseinandersetzungen der folgenden 30 Jahre waren nur der letzte Akt des deutschen Dramas, in dem die Kaiser des Römischen Reiches Deutscher Nation eine wenig überzeugende Rolle spielten. Zu diesen wenig überzeugenden Persönlichkeiten zählte Rudolfs Bruder Matthias, der im Mai 1611 im Hradschin zum neuen böhmischen König gewählt wurde.

Matthias in seiner katholischen Tradition verstieß zwar nicht gegen den Inhalt, jedoch gegen den Geist des Majestätsbriefes. Die Empörung verstärkte sich in Böhmen, als Matthias auch noch seinen Regierungssitz nach Wien verlegte.

Die erneute Absetzung des Kaisers als böhmischer König scheiterte jedoch an den widerstrebenden Interessen und Bestrebungen der sich bekämpfenden nationalen Parteien.

Zur Erlangung der nationalen Unabhängigkeit waren natürlich die Absetzung der Habsburger Dynastie, aber ebenso ein Gleichgewicht der politischen Kräfte notwendig. Und eben das war unter den gegebenen Umständen nicht möglich; zumal die Angst der böhmischen Stände vor dem Verlust des materiell Erreichten das letzte Wagnis ausschloß.

Die Sorge der politisch einflußreichen Kreise um die Bewahrung der Privilegien sicherte dem Kaiser die Macht. Eine Wiederwahl eines Habsburgers nach dem Tode des kinderlosen Kaisers Matthias war allerdings nach den Ereignissen der letzten Jahre mehr als fraglich.

Man sollte annehmen, daß die Wahl des böhmischen Königs eine Angelegenheit war, die auschließlich die Böhmen anging.

Aber der Umstand, daß die Könige von Böhmen auch Kurfürsten des Heiligen Römischen Reiches waren, machte diese Wahl zu einem Ereignis von europäischer Bedeutung.

Die Tragik dieser Verknüpfung der machtpolitischen Interessen leitet sich an dem Zweifel ab, ob Böhmen, und damit Schlesien, die Lausitz oder Mähren historisch gesehen überhaupt zum Gebiet des Heiligen Römischen Reiches gehörten.

Ebenso tragisch war das Fehlen eines geeigneten Kandidaten für den Thron des böhmischen Königs. Es boten sich drei Kandidaten an: Erzherzog Ferdinand von Habsburg, Kurfürst Johann Georg von Sachsen und Kurfürst Friedrich von der Pfalz.

Friedrich war nicht nur zu unerfahren und ohne Ansehen, er war Calvinist - eine Zumutung für die böhmischen Adligen und eine Gefahr für die Protestanten.

Johann Georg war als toleranter protestantischer Herrscher ein Wunschkandidat. Da er aber alle Angebote unbeantwortet ließ, war es unmöglich, ihn vorzuschlagen.

Mangels anderer, besserer Kandidaten, wurde schließlich am 17. Juni 1617 Erzherzog Ferdinand zum böhmischen König gewählt.

Das angestrebte Ergebnis der anstehenden Kaiserwahl nach dem erwarteten Tod des kränkelnden Kaisers Matthias schien somit für das Haus Habsburg gesichert.

Ferdinand dachte nach seiner Wahl zum böhmischen König keinen Augenblick daran, auch weiterhin den Inhalt des Majestätsbriefes zu garantieren, aber er war klug genug, den Anlaß für die Beseitigung der Privilegien der hoffnungslos zerstrittenen Gegenpartei zu überlassen.

Und dieser Anlaß ließ nicht lange auf sich warten. Am 23. Mai 1618 warfen aufgebrachte Protestanten zwei kaiserliche Statthalter und einen Schreiber aus dem Fenster der Prager Burg. Der Prager Fenstersturz war nicht nur eine politische Posse; er wurde vom gesamten katholischen Europa als Staatsstreich gedeutet, und der Wiener Hof nutzte die Kreuzzugsstimmung konsequent aus.

In Böhmen und in den Grenzlanden zu Böhmen verschärfte sich die Lage von Monat zu Monat. Eine provisorische Regierung unter Graf von Thurn übernahm die Macht und marschierte mit einem böhmischen Heer gegen Wien. Damit hatten die Protestanten den formellen Waffenstillstand mit den Katholiken gebrochen. Außerdem wurden die Jesuiten aus Böhmen ausgewiesen und die katholische Stadt Krummau von den böhmischen Truppen unter Thurn angegriffen und eingenommen.

In Mähren kam es zum offenen Aufstand gegen den Machtanspruch des Kaisers; die Protestanten in Ober- und Niederösterreich kritisierten Ferdiand ganz offen; Kärnten und die Steiermark standen vor einer Rebellion. Die Lausitz, Schlesien und Mähren unterzeichneten im Juli 1619 ein Abkommen für eine gemeinsame Konföderation mit Böhmen.

Die Nöte der böhmischen Glaubensbrüder lieferten auch für den Fürsten von Siebenbürgen, Bethel Gabor einen willkommenen Anlaß zu einem Feldzug Richtung Ungarn. Ungarn war halb protestantisch und sofort bereit, sich gegen das Habsburger Joch zu erheben.

Die Zeichen standen schlecht für das Haus Habsburg: die politische Entwicklung des Kaiserreiches lief Gefahr, aus dem Ruder zu laufen - und das alles in einer Zeit, in der Ferdinand auf dem Wege nach Frankfurt am Main war, um zum Nachfolger des am 20. März 1619 verstorbenen deutschen Kaiser Matthias gewählt zu werden.

Im August 1619 erfolgte die Wahl Ferdinands zum deutschen Kaiser. Noch am Wahltage erreichte den neuen Kaiser die Nachricht, daß er von den böhmischen Ständen als König von Böhmen abgesetzt war.

Mangels anderer geeigneter Kandidaten boten die böhmischen Stände dem Kurfürsten von der Pfalz, Friedrich V., die böhmische Königskrone an. Trotz warnender Stimmen, nahm Friedrich die ihm angebotene Königskrone an und wurde 1619 zum König von Böhmen gewählt. Daraus erwuchs den Habsburgern eine Gefahr bei zukünftigen Wahlen für die Nachfolge des deutschen Kaiser: Friedrich von der Pfalz besaß nämlich jetzt zwei protestantische Wahlstimmen: die der Pfalz und die Böhmens. Ein protestantischer König von Böhmen hätte damit bei einer anstehenden Kaiserwahl das Schicksal des deutschen Zweiges der katholischen Habsburger Dynastie besiegelt. Bei der Wahl wären die katholischen Kurfürsten mit vier zu drei Stimmen überstimmt worden. Der Kaiser erließ daraufhin am 30. April 1620 ein Mandat, wonach sich Friedrich bis zum 1. Juni 1620 aus Böhmen hätte zurückziehen müssen.

Daß Friedrich diesem Mandat nicht nachkam, war der eigentliche Anlaß zum Krieg.

Mit Zustimmung der katholischen Kurfürsten, insbesondere mit Unterstützung Maximilians von Bayern, wurde das Problem nun auf militärischem Wege gelöst.

In der Schlacht am Weißen Berg bei Prag besiegten 1620 die Truppen der katholischen Liga unter Tilly das Heer Friedrichs und Friedrich wurde aus Böhmen vertrieben. Durch die anschließende Ächtung durch den Kaiser verlor Friedrich V. von der Pfalz seine Kurwürde und seine Erblande.

1623 erhielt Maximilian von Bayern, der Anführer der katholischen Liga, wie vorher mit dem Kaiser im Geheimen vereinbart, die Pfalz und die Pfälzer Kurwürde.

Damit hatte sich das konfessionelle Gleichgewicht innerhalb der Gruppe der Kurfürsten wieder zu Gunsten der katholischen Kurfürsten verändert. Dem Kaiser schien eine entscheidende politische Weichenstellung gelungen zu sein.

Tatsächlich war es nur der Beginn einer deutschen Tragödie, denn die ursprünglich von nationalen Intessen geprägte böhmische Revolte, die mit einem Fenstersturz in Prag begann, endete im großen Krieg fast aller europäischer Völker. Bei objektiver Wertung der Widersprüche im deutschen Kaiserreich war der Krieg offenbar nicht vermeidbar - wohl aber seine Dauer.

Natürlich haben zum Ausbruch des 30jährigen Krieges die unterschiedlichsten ökonomischen, sozialen und politischen Entwicklungen in Europa sowie die konkurrierenden Interessen der deutschen Fürsten beigetragen. Aber diese Machtveränderung im Kurfürstengremium war eine von diesen Ursachen, zumal die Aberkennung der Kurfürstenwürde Friedrichs einen Verfassungsbruch darstellte und zur Verhärtung der zunächst konfessionell erscheinenden Gegensätze im Reich beitrug.

Einige Historiker verknüpfen den Ausbruch und den Verlauf des Krieges mit Handlungen und persönlichen Einflußnahmen berühmter Persönlichkeiten. Der Handlungsablauf einzelner Zeitabschnitte scheint ihnen Recht zu geben.

So urteilt zum Beispiel die englische Historikerin C.V. Wedgwood über die Entscheidung des Kurfürsten von der Pfalz, Friedrich V., die böhmische Krone anzunehmen mit folgenden Worten:

"Wäre es in der Geschichtsschreibung jemals möglich, eine einzige Tat als entscheidend für die folgenden Entwicklungen herauszuheben, dann könnte die Annahme der Krone von Böhmen durch den Kurfürsten Friedrich von der Pfalz eine solche Tat gewesen sein.

Durch diese Annahme zog er die Hauptfäden europäischer Diplomatie zusammen und vereinigte die Interessen des protestantischen Deutschlands mit denen der Feinde der Habsburger in ganz Europa.[1]

Tatsächlich wird ein Krieg aber nie von Personen bestimmt, wenn die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht bereits einen Grad der Entwicklung erreicht haben, der diesen Krieg als Ausdruck ungelöster gesellschaftlicher Prozesse begünstigt.

Solange man Entwicklungen des 30jährigen Krieges mit Charaktereigenschaften seiner Akteure verknüpft, solange wird auch ihre historische Rolle nie richtig bewertet werden können.

Die objektive Beurteilung der historischen Rolle der am 30jährigen Krieg beteiligten Akteure kann nur dann richtig bewertet werden, wenn die machtpolitische und ökonomische Basis ihrer Einflußnahme und die sich daraus ableitenden gesellschaftlichen Widersprüche herausgearbeitet werden.


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